«Uns wird alles weggenommen in New York»

Bald nicht mehr: Zigarrenparadies Nat Sherman an der 42. Strasse. (Foto: Jim Renaud/Flickr)

Ich mag keine Zigarren. Der Rauch aus dicken Glimmstengeln beisst mich im hinteren Gaumen, und auf der Zunge schmeckt er übel. Vielleicht gab ich einfach nie genug Geld für eine edle Handgedrehte aus.

Ich weiss aber, dass sich Zigarren einer leidenschaftlichen Gefolgschaft erfreuen, vor allem unter Männern. Beleibte Ältere halten am ungesunden Paffen fest, um dem Gesundheitskult zu trotzen. Dynamische Jüngere wollen mit Hilfe verbrannten Tabaks Maskulinität einsaugen.

Diesem unschuldigen Vergnügen nachzugehen, wird in New York bald einiges beschwerlicher. Wie das Wall Street Journal berichtet, schliesst der berühmte Zigarrenladen Nat Sherman in Midtown Manhattan am 25. September seine Türen – für immer. Neunzig Jahre lang versorgte der «Tobacconist to the World» seine Fangemeinde mit einer reichen Palette von Zigarren, darunter mehreren Linien der eigenen Marke.

Zu prominenten Kunden Nat Shermans sollen Humphrey Bogart und John Wayne gezählt haben. Beim Betreten des zweistöckigen Ladens in einem Stadthaus an der 42. Strasse tut man einen Schritt in die Vergangenheit. Warmes Holz überall, an den Wänden Humidors mit unzähligen Fächern. Raucher, die im Jahr für mindestens 3000 Dollar einkauften, durften im Untergeschoss in den Sesseln einer privaten Lounge schmauchen.


Neunzig Prozent der Kunden sind weggefallen


Das edle Geschäft in Corona-Zeiten weiterzutreiben, erschien aber selbst dem Tabakmulti Altria zu teuer. Der Konzern mit einem Jahresumsatz von 25 Milliarden Dollar hatte Nat Sherman 2017 der Gründerfamilie abgekauft. Weil es nicht mehr ins Produktangebot passte, suchte Altria letzten Oktober einen Käufer dafür, ohne jedoch fündig zu werden.

Als es noch Kunden gab: das Innere von Nat Sherman. (Foto: Jim Renaud/Flickr)

Jetzt fehlt schlicht die Kundschaft, die sich vor allem aus Büroangestellten in Manhattans Geschäftszentrum zusammensetzte. Wegen der Pandemie seien neunzig Prozent der Käufer weggefallen, erklärt voller Wehmut Michael Herklots, der zuständige Altria-Manager. «Wir sind für New York so authentisch wie Hermès für Paris.»

Treue Kunden wie Todd Feldman bedauern die Schliessung des Traditionsgeschäfts um so mehr, als Altria unter der Marke Nat Sherman nur noch Zigaretten, aber keine Zigarren mehr herstellen will. Feldman kaufte diese Woche Premium-Zigarren im Wert von 800 Dollar ein. Sein Lamento: «Uns wird alles weggenommen in New York.»

Das Gefühl, dass New York das verliert, was es zu einer besonderen Stadt machte, verdichtet sich diesen Sommer auf dramatische Weise. Nicht nur einzelne Geschäfte und Restaurants machen für immer zu; auch für viele nationale Ketten kostet es zu viel, auf dem teuren Pflaster der Metropole Läden ohne Kundschaft zu unterhalten. Die «New York Times» berichtet, dass Firmen wie der Accessoires-Hersteller Kate Spade oder die Imbissketten Subway und Le Pain Quotidien mehrere Filialen endgültig geschlossen haben. Die Moderiesen Victoria’s Secret und Gap lassen ihre Geschäfte in Manhattan weiterhin mit Brettern vernagelt, während sie Lokalitäten anderswo wieder öffnen. Der Corona-Kahlschlag scheint in  New York besonders gnadenlos, und er wird so schnell nicht enden.

Das macht eine Kolumne über das Leben im nicht unbedingt amüsanter. Der Horizont über meinem geliebten New York hat sich verdüstert. Darüber mehr in den nächsten Texten über den Melting Pot. 

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