Nicht einschmelzen oder stürzen, bitte!

Ein Cop im Streifenwagen bewacht die Kolumbus-Statue im Central Park. (Foto: Martin Suter)

Es gehört zu den Vorzügen von New Yorks Central Park, dass man dort nicht auf Schritt und Tritt auf Polizisten stösst. Klar gibt es sie, aber nicht in überwältigender Zahl. Meistens drehen Grüppchen von Cops in korpsgerecht schwarzen Shorts ihre leisen Runden auf Velos, ganz nostalgischen, ohne Elektroantrieb. 

Nur an einem Ort steht ein Streifenwagen, in dessen Fahrersitz ein gelangweilter Gesetzeshüter mit dem Schlaf kämpft. Neben seinem Fahrzeug verstärken stählerne Abschreckungen den polizeilich garantierten Schutz.

Doch Protektion geniesst hier kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein im Jahr 1506 Gestorbener aus Bronze. Hoch auf einem Granitsockel steht Christoph Kolumbus, wie er den Blick andächtig gen Himmel richtet und in seiner Rechten eine Fahne hält, deren Stange ein Kreuz krönt.

Die vom Spanier Jerónimo Suñol 1894 gegossene Statue ist hochgradig gefährdet. Schon im August 2017 besprayten sie Vandalen mit dem roten Schriftzug: «Hass wird nicht toleriert» und der ominösen Warnung: «#somethingiscoming».

Ohne Polizeischutz könnte dieses «etwas» durchaus eintreten. Im Zug der antirassistischen Proteste dieser Tage wurde eine Statue des italienischen Seefahrers in Richmond, Virginia, erst besudelt, dann angezündet und schliesslich in einen See gekippt. In Philadelphia brauchte es eine Schutzwache aus Kolumbus-Anhängern, damit ein Monument des Kolonisators nicht verschandelt wurde. In Boston wurde eine Kolumbus-Statue geköpft; demnächst soll sie entfernt werden.


Dass die Monumente eine Minderheit moralisch stützen sollten, bleibt den modernen Bilderstürmern verborgen


Die Statue in New York wurde eingeweiht, als sich Kolumbus’ Ankunft in der Neuen Welt zum 400. Mal jährte. Mit ihm als als Symbol feierten italienische Immigranten ihren Beitrag an die amerikanische Geschichte zu einer Zeit, als Italo-Amerikaner überall in den USA diskriminiert wurden.

Die Ironie, dass die Monumente eine Minderheit moralisch stützen sollten, bleibt den modernen Bilderstürmern verborgen. Sie finden unerträglich, dass Kolumbus in seinen Ländereien amerikanische Ureinwohner misshandelte. Radikale Kolumbus-Kritiker machen ihn für alles verantwortlich, was nach ihm kam, und verdammen die USA als Ausgeburt des Kolonialismus.

Am Columbus Circle kreist der Verkehr um die Kolumbus-Statue auf einer Säule.
(Foto: NYC-DDC)

Bei der gegenwärtigen politischen Aufwallung können Kolumbus-Fans froh sein, dass New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo einen italienischen Nachnamen trägt. Der Enkel von Einwanderern aus Italien machte sich auch für eine zweite Kolumbus-Statue stark, jene oben auf einer Ehrensäule in der Mitte des Columbus Circle in Manhattan. Das 23 Meter hohe Monument wäre zwar schwer zu bodigen. Dennoch wurde seine Existenzberechtigung nach einer ersten Protestwelle vor drei Jahren von einer Kommission hinterfragt.

Eine solche Alibi-Übung wäre 2012 noch völlig unnötig gewesen. Damals nutzte der japanische Künstler Tatzu Nishi eine Renovation des Monuments für eine Installation, die Besucher in Tuchfühlung mit Kolumbus brachte. Rund um die 4,3 Meter hohe Marmorskulptur baute Nishi ein modernes Wohnzimmer mit Fenstern, Polstermöbeln und einem Flachbildschirm-TV. Kolumbus stand in der Mitte des Raums auf dem Kaffeetisch und schaute über die kunstsinnigen Betrachter hinweg in die von der Zimmerwand blockierte Ferne.

Kolumbus im Wohnzimmer – eine Installation von Tatzu Nishi. (Foto: Martin Suter)

Unter heutigen Umständen könnte man Menschen nicht mehr so nahe an die umstrittene Skulptur heranlassen; das würde sie nicht überleben. Vorüber ist die einzigartige Gelegenheit, Kolumbus genau zu inspizieren, vom Seilknäuel neben seinen Schuhen über die Falten des Mantels bis zum langen, unter dem Hut hervorquellenden Haar.

Wie der Marmormann verdient auch der historische Kolumbus sorgfältiges Studium. Das Vermächtnis des italienischen Entdeckers und Eroberers ist durchaus gemischt. Moralische Standards der Gegenwart haben Gewicht, dürfen aber das Verständnis einer entfernten Epoche und ihrer Menschen nicht versperren.

Auf jeden Fall bringt eine Kolumbus-Statue die Selbstvergewisserung unserer Zeit weiter voran als der leere Sockel, auf dem sie einst stand. Monumente sind zu interpretieren und, falls nötig, mit erklärenden Informationen zu ergänzen. In der Regel sollten sie aber stehen bleiben – auch wenn dafür ein Cop den Arbeitstag im Streifenwagen absitzen muss.

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