Die Plünderer kamen im Rolls Royce

Organisierte Plünderer im Shopping-Stadtteil SoHo. (Video: YouTube)

Ach, waren das Zeiten, als ich mich darüber aufregte, dass mich New Yorks Lärm am Schlafen hinderte. Ich stöhnte über das Klappern eines Mannlochdeckels und das Gedröhn der Müllwagen mitten in der Nacht. 

New York, the city that never sleeps? Heute ist Big Apple eine Stadt, die immer schläft.

Es ist surreal. Seit Dienstag gilt auf dem ganzen Stadtgebiet, also auch im zentralen Manhattan, von 20 Uhr abends bis fünf Uhr morgens eine Ausgangssperre. Von ihr unterrichtet wurden Anwohner mit einem schrillen Notfall-Ton auf dem Handy, gefolgt von einem Text unter dem Titel EMERGENCY. Ausgenommen seien bloss «essential workers», heisst es darin. Südlich der 96. Strasse, wo Harlem endet, werde generell der Verkehr untersagt.

Kurz vor acht doppelten die Behörden nach und schickten Polizeiwagen mit Lautsprechern durch alle Quartiere. Vor unseren Fenstern erscholl von der Strasse her in roboterhafter Stimme die gleiche Warnbotschaft. Unheimliche Gefühle kamen hoch. Herrscht der Kriegszustand? Sind wir in Beirut?

Weiter nördlich, in Midtown, sieht die Szenerie so aus, als sei dieser Verdacht berechtigt. Auf Strassenblock nach Strassenblock wurden in der Nacht auf Dienstag unzählige Schaufenster eingeschlagen und Geschäfte ausgeraubt.


«Komplette Anarchie, gesetzlos»


Plünderer drangen sogar ins Traditionswarenhaus Macy’s ein, deren hölzerne Rolltreppen alle Amerikaner kennen und wo jedes Jahr an Weihnachten ein «Santa» Kinderaugen zum Leuchten bringt. Wie viele andere Schaufenster sind die von Macy’s jetzt zugenagelt. Das von Hollywood verewigte «Wunder an der 34. Strasse» ist zum Alptraum verkommen.

Um zusätzliche Zerstörung zu verhindern, wurden weiter nördlich die berühmten Vitrinen von Saks Fifth Avenue, dem letzten verbliebenen Luxuswarenhaus New Yorks, vollständig verbrettert. Zur Verstärkung nagelten Monteure einen Maschendrahtzaun auf das Sperrholz und hängten daran eine Rolle Stacheldraht.

Davor postieren sich jetzt Sicherheitswächter. Ihre tätowierten Arme stecken in schwarzen T-Shirts. An der Leine halten sie belgische Malinois und Pitbull-Terrier. «Die Hunde», warnte ein Wächter zur New York Post, «sind nicht friedlich.»

Ausserhalb meiner Hör- und Sichtweite hatten die Plünderer in der Krawallnacht vom Montag freie Hand. «Komplette Anarchie, gesetzlos», twitterte eine Journalistin von The Daily Beast. Betroffen seien «Hunderte von Läden am Broadway, an der Fifth Avenue, an der Sixth Avenue. Kids herrschten über die Strassen wie  an einer Party.»

Nicht nur Kids trieben ihr Unwesen. Auffällig auf Fotos und Videos waren die vielen teuren Limousinen, in denen die Plünderer anfuhren. Im Edelquartier SoHo entstiegen die bestens organisierten Räuberbanden sogar einem schwarzen Rolls Royce Culligan. Der SUV, der 325’000 Dollar kostet, repräsentiert laut Werbetext «zeitlose Eleganz und Reinheit».


Wer schon hat, sahnt ab, und wer wenig hatte, wird am Ende noch weniger haben.


Die eleganten Diebe räumten eine Luxusboutique aus, denn sie wussten, wo wertvolle Ware zu holen war. Über die Tausenden von Plünderern, die in den letzten Tagen in Hunderten von US-Städten Handy-Shops, Schuhgeschäfte, Drugstores und Tante-Emma-Läden verwüsteten, würden sie nur lachen.

Während Chanel und ihresgleichen die Verheerung ihrer Filialen verkraften können, werden die Krawalle aber viele kleine Läden in den Ruin treiben. Eine Bilanz lässt sich bereits ziehen: Die landesweiten Proteste gegen die Ermordung von George Floyd durch weisse Cops in Minneapolis werden vielleicht ein paar neue Gesetze hervorbringen und an manchen Orten die Polizistenausbildung verbessern. Sicher aber werden die aus den Demos hervorgegangenen Krawalle und Plünderungen arme Stadtviertel nachhaltig schädigen. Auch für diese Krise gilt: Wer schon hat, sahnt ab, und wer wenig hatte, wird am Ende noch weniger haben.

Und New York City? Die Stadt hat Reichtum und Armut, und beides im Übermass. Die Corona-Pandemie und jetzt die Krawalle haben sie schwer getroffen. Ich will glauben, dass sie sich irgendwann davon erholen wird. Aber wie lange das dauert, darüber mag ich nicht spekulieren.

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