Kein Wunder ist New York die Stadt, die niemals schläft

Müllwagen in New York sind schmutzig, schwer und unheimlich laut. (Foto Queens County Garbage and Demo)

Nach einer urbanen Legende zieht sich unter der Insel Manhattan ein Felsrücken hin, aus dem diffuse Dämpfe an die Oberfläche dringen. Sie sollen die Quelle der sprichwörtlichen Energie sein, die in Amerikas grösster Metropole die Menschen antreibt. Der sogenannte Manhattan- Schiefer regt laut dem Mythos zu Spitzenleistungen an, egal was gefragt ist. Als Bewohner New Yorks kann ich da nur sagen: Humbug. Was Menschen in Manhattan am Strampeln hält – und am Schlafen hindert – ist schlicht der Lärm.

Gibt es auf der Welt eine lautere Stadt? Ich habe bisher auf keinem Kontinent eine angetroffen. In New York sind Menschenstimmen gellender als irgendwo sonst. Downtown werden in Restaurants Lärmpegel von mehr als 92 Dezibel gemessen – beim Sonntagsbrunch. So laut dröhnt neben dem Ohr ein Küchenmixer auf Hochtouren. Und wenn die Hintergrundmusik im Stimmengewirr unterzugehen droht, dreht das Lokal die Lautstärke nochmals hoch. Die akustische Rüstungsspirale hat einen einfachen Grund: Wer schreien muss, konsumiert mehr.

Auf 90 Dezibel kommt mühelos auch die Subway. An der Haltestelle Union Square versetzen die herandonnernden Stahlwaggons den Bauch in Vibration, während kreischende Räder das Trommelfell durchbohren. Derweil in den Strassenschluchten Ambulanzen jaulen und Fire Trucks dröhnen, dass die Ohren schmerzen.

Nimmt man die häusliche Unruhe hinzu, wenn Hundegebell und Partyrhythmen durch die dünnen Decken dringen, dann verwundert nicht, dass beim städtischen Beschwerdetelefon mehr Klagen über Lärm als über alles andere eingehen. 600-mal täglich oder über drei Millionen Mal seit 2010 tippen New Yorker die Nummer 311 ein, um laute Nachbarn, Bauarbeiten zur Unzeit oder andere Lärmprobleme zu rapportieren.


Downtown werden in Restaurants Lärmpegel von mehr als 92 Dezibel gemessen – beim Sonntagsbrunch.


Unlängst wurde es auch mir zu viel. Wir hatten zwar, weil unsere Strasse die 25-Tönner der privaten Müllabfuhr anzieht wie ein Magnet, die alten Fenster durch moderne mit Isolierglas ersetzt. Dennoch nervte es nachts, dass ein wackelnder Mannlochdeckel genau vor unserem Haus ein lautes Klack-Klack von sich gab, wenn Autos darüberfuhren.

Der Mann am 311-Telefon nahm die Beschwerde entgegen, notierte alle Einzelheiten und versprach Abhilfe in ein, zwei Wochen. Nichts tat sich, und meine Hoffnung schwand. Klack-klack knallte rund um die Uhr das Gusseisenrund über der Kanalisation, aus der Dampf hochwaberte. Doch dann, verspätet, kam die Erlösung. Ein Reparaturwagen des Con-Edison- Elektrizitätswerks stoppte beim Loch, und Handwerker machten sich daran zu schaffen. Ruhe kehrte ein.

Als ich ihm dankte, sagte der Con-Ed-Mann, es sei eigentlich nicht sein Job gewesen. «Das Mannloch gehört der Stadt.» Aber da schon mindestens sechs Anwohner reklamiert hätten, da habe er den Deckel provisorisch justiert. Ein paar Wochen werde das halten, schätzte er. Zwei Tage später begann das Ding schon wieder zu wackeln. Inzwischen hat es sich auf ein leises Dok-Dok eingepegelt. Die Steigerung zum Klack- Klack ist nur eine Frage der Zeit.


Erschienen am 30. November 2019 in der Basler Zeitung.

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